Montag, 29. Oktober 2018

Das andere Stadtratsprotokoll II



Zumindest musste ich mich dieses Mal nicht durch die halbe FDP – Fraktion kämpfen und rannte auch Niemanden über den Haufen, was ich jetzt einfach mal als Erfolg für mich versuchte. Ich erhielt lediglich einen etwas irritierten Blick und ein „Guten Abend“ von Roberto de Nino, als ich an ihm vorbeistöckelte. Wahrscheinlich dachte er, ich sei wichtig (ich trage jetzt nämlich neuerdings hohe Schuhe und einen tollen – und sauteuren – roten Mantel, in dem ich aussehe wie eine Dame von Welt. Die Schuhe haben einfach den Nachteil, dass ich mehr Zeit einrechnen muss um von A nach B zu kommen, aber was macht man nicht alles um stilvoll gekleidet zu sein?)

Im Vorfeld wurde ich mit einem vielsagenden Grinsen „gewarnt“, es werde sicher eine spannende Stadtratssitzung. Sie fing dann allerdings ganz friedlich an. So verkündete Pascal Dietrich (FDP) dann auch gleich bei seinem Anfangsvotum, er wolle den Abend harmonisch einleiten. Später war von seinem Harmoniebedürfnis allerdings nicht mehr so viel zu spüren.

Aber ich greife vor. Als erstes stand ein Traktandum auf der Liste, das mir irgendwie bekannt vorkam, nämlich die Aktenkapitalerhöhung der Haslibrunnen – AG. Wir erinnern uns: Bei der vorletzten Stadtratssitzung entschied sich der Stadtrat für eine zweite Lesung, weil er sich vom Gemeinderat nicht genügend informiert fühlte. (übrigens wäre es sehr praktisch, wenn es in solchen Fällen eine kurze Videozusammenfassung der letzten Sitzungen geben würden. Wie bei TV – Serien. Previously on Stadtrat….Und wenn wir schon dabei sind können wir auch gleich ein Stadtratsopening einführen à la ich sehe gute Beschlüsse, schlechte Beschlüsse, ein Leben, das neu beginnt…) 

Wirklich viel Neues gab es deshalb auch nicht. Niemand stellte die Notwendigkeit der Aktienkapitalerhöhung in Frage (das wäre ja schliesslich auch nicht besonders gut angekommen. Immerhin geht es darum, alten Menschen einen möglichst schönen Lebensabend zu bereiten. Da kann man ja schlecht dagegen sein. Alte Menschen, Tiere, Kinder, das sind immer emotional aufgeladene Themen) und es waren hauptsächlich kosmetische Eingriffe, die der Stadtrat vornahm.

Die Motion von SVP - Star Patrick Freudiger (der von Stadtratspräsident Urs Zurlinden als Motionärin bezeichnet wurde, was einen irritieren Blick seitens der frisch gekürten ‚Patricia Freudiger‘ einbrachte) verlangte, dass die Stadt Drittbeteiligungen ernsthaft prüfe, wobei Freudiger auch gleich geschickt anbringt, man wolle schliesslich, dass die SVP der Aktienkapitalerhöhung zustimmen. Ob es an der sanften Drohung lag oder an was anderem, auf jeden Fall wurde die Motion als erheblich erklärt.

Es folgte ein langes und engagiertes Votum von SVP – Gemeinderat Roberto de Nino, der ausführlich auf die Punkte eingeht, die in der ersten Lesung noch kritisiert worden sind. So erklärt er zum Beispiel wieso ein Provisorium für die Übergangszeit geplant ist und das Bauvorhaben nicht einfach in Etappen aufgeteilt wird. Dank dem Provisorium hat man schon während dieser Zeit 15 – 20 Betten mehr zur Verfügung, was ja auch dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit Rechnung trägt.

Bei den Betten waren sich die Damen und Herren Stadträte allerdings nicht ganz einig. Die SVP ist der Meinung, dass da vielleicht ein bisschen viel Betten (sprich, zu viele Plätze) geplant sind. Aber, wie Pascal Dietrich weise bemerkte, Prognosen, die die Zukunft betreffen, sind immer schwierig. Und schliesslich – da sind sich alle einig – wollen Menschen auch im Alter in ihrer Heimat bleiben (wobei, in anderen Städten gibt es vielleicht auch weniger Baustellen und das senkt ihr Risiko, in einen geöffneten Gully zu fallen).

Diego Clavadetscher (FDP) hätte wohl auch eine Laufbahn als Pfarrer einschlagen können, so ausführlich war sein Statement zur Schlussabstimmung. Und er bedient sich dabei am traditionellen Wortschatz der SP, indem er die Solidarität betont. Sowohl er, als auch die SVP verwies auf die enorme Wichtigkeit der zweiten Lesung – wohlmöglich wollten sie damit die kritischen Stimmen in der Bevölkerung zum Schweigen bringen, die fanden, der Stadtrat verschleppe das Geschäft unnötig…

An der Botschaft wurden schliesslich noch ein paar Änderungen vollzogen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir hierbei die Bemerkung von Paul Werner Beyeler, der findet, die Botschaft könne man auch etwas mehr den Jugendlichen anpassen. Der Inhalt dieser Botschaft wäre sicher sehr amüsant („Ey, loset mal Pimps, die Alte bruche nöii Homebase und drum, müesse mer ne fett Chole gä!“)

Schlussendlich ist aber die Botschaft präzisiert und: Die Aktienkapitalerhöhung war durch. Fast erwarte man einen Trommelwirbel. Aber da wahre Grauen wartete da erst noch. Es heisst: Mehrwertabgabe (Tadadam!).

Was ist Mehrwertabgabe? Wenn ein Grundstück wegen einer Neueinzonung an Wert gewinnt, muss der Eigentümer der öffentlichen Hand (sprich, der Stadt) eine Abgabe leisten. Die Stadt Langenthal muss nun eine Gesetzeslücke schliessen und ein neues Reglement schaffen. Doch der Entwurf des neuen Mehrwertabgabereglements wurde vom Stadtrat schon einmal zurückgewiesen. Und jetzt legte der Gemeinderat den gleichen Entwurf noch einmal vor. Das sorgte für erhitzte Gemüter.

Die FDP verstand sich dabei als Musterschülerin der Demokratie. So teilten sie Blätter mit ihren Änderungsanträgen und dazu passenden Grafiken aus, während Diego Clavadetscher mithilfe einer PowerPoint Präsentation und Laserpointer versuchte, die Ideen und Änderungsvorschläge der FDP zu visualisieren. Fast erwartete man, dass er auch noch FlipChart und Hellraumprojektor zur Hilfe nahm. Wirklich für Klarheit sorgte das allerdings nicht. Als die SP/GL Fraktion ebenfalls einen Änderungsvorschlag vorbrachte, wollte er diesen ebenfalls in seiner Grafik einordnen, was zu einer etwas merkwürdigen Diskussion führte, die sich darum drehte ob man jetzt über „das Grüne rede“ oder über das „Nichtgrüne“.

Zumindest so viel habe ich glaub kapiert. Die Bürgerlichen waren nicht zufrieden mit der Arbeit des Gemeinderates. Die SP/GL Fraktion allerdings schon. Sie sprachen sich erneut dafür aus, den Entwurf des Gemeinderates anzunehmen. Und als es zu der bizarren Situation kam, dass es zum Änderungsvorschlag vom Änderungsvorschlag und dann noch zur Alternative vom Änderungsvorschlag kam, stellte Bernhard Marti (SP) den Ordnungsantrag, den Prozess abzukürzen, indem man das Reglement provisorisch annehme, um es dann zu einem anderen Zeitpunkt mit mehr Ruhe zu verbessern. Das führte zu heftigen Reaktionen.

Patrick Freudiger kritisiert, dass einige wohl nur deshalb mit dem Antrag liebäugelten, weil sie früher nachhause gehen wollen und überhaupt sei das ein verdrehtes Demokratieverständnis und quasi eine Selbstkapitulation des Stadtrates. Die anderen Parteien – mit Ausnahme der SP/GL – schlossen sich dieser Beurteilung mehr oder wenig an und so wurde der Ordnungsantrag abgelehnt. Stattdessen wurde nun jeder der – zum Grossteil von der FDP gestellten – Anträge durchgekaut. Alle Änderungen kamen problemlos durch. Den – mehr oder weniger - vereinigten Kräften von FDP/SVP hatten die Linken nicht viel entgegenzusetzen.

Und auch die Voten von Stadtpräsident Reto Müller konnten das Ruder nicht mehr rumreissen. Als der letzte Antrag zur Abstimmung kam, bei dem von der Einsetzung einer Stadtratskommission die Rede war (heikel daran ist, dass eigentlich schon eine Kommission geplant ist, die allerdings nicht nur aus Mitgliedern der Legislative, sondern auch aus Mitgliedern der Exekutive bestehen soll), erinnerte er daran, dass die Bürgerlichen auch im Gemeinderat die Mehrheit halten. Zudem nahm er Stellung zu dem Vorwurf, der Gemeinderat hätte qualitativ nicht gut gearbeitet. Da sich der Entwurf sehr auf andere Gemeinden stützt, hätte da wohl noch andere unsauber gearbeitet.

Nach zwei Stunden schliesslich fiel der Entscheid. Dem nun angepassten Reglement wurde zugestimmt (wobei es sich nur ein Provisorium handelt, wenn ich das richtig verstanden habe, die genaue Ausarbeitung wird jetzt von der Kommission – oder den Kommissionen – vorgenommen).

Nach dieser Monsterdebatte war Urs Zurlinden anzumerken, dass er vorwärts machen wolle (ohnehin liess sein manchmal gequälter Gesichtsausdruck darauf schliessen, dass er dem einen oder anderen Redner gerne das Mikrofon abgedreht hätte). Die anderen Geschäfte wurden zackig abgearbeitet, so zum Beispiel, die Sanierung des Sportplatzes des Schulzentrums Elzmatte. Laut Janosch Fankhauser (SVP) würden die Kinder dort Hürdenlauf trainieren – allerdings eher unfreiwillig. Die Sportbahn hat nämlich ein paar Risse und Löcher.

Hoffen wir, dass bis zu geplanten Sanierung kein Kind in so ein Loch stürzt, spurlos verschwindet und im Wunderland landet.

Fast schien es am Ende so, die Stadträte – und Stadträtinnen hätte genug gestritten, so schnell ging die Behandlung der letzten drei Traktanden. Nicht, dass ich mich beschweren will. Mein Hintern tat weh, ich hatte Hunger und wenn noch einmal jemand, „Änderungsantrag“ oder „Mehrwertabgabe“ gesagt hätte, wäre ich schreiend aus dem Saal gelaufen.

Naja vielleicht nicht gerade schreiend, sonst hätte mich noch einer der netten, anwesenden Polizisten in eine Zwangsjacke stecken müssen.

Was haben wir nun von der Stadtratssitzung gelernt? In Langenthal ticken die Uhren anders. Sind es sonst eigentlich eher die Linken, die sich in der Opposition einrichten und an der Exekutive rummeckern, sind es in Langenthal eher die bürgerlichen, die sehr hart mit einem bürgerlichen Gemeinderat ins Gericht gehen. Typisch Langenthal. Irgendwie halt anders.

Es bleiben allerdings noch einige Fragen offen. Zum Beispiel….
…..wieso sind die Abstimmungskarten orange? Eine Referenz an die in Langenthal nicht vorhandene CVP? Zufall? Beruhigt orange? Oder die einzige Farbe, auf die man sich einigen konnte?
….warum sind die Jungliberalen auf dem Sitzplan mit lau (FDP- Farbe) und rot (SP – Farbe) eingezeichnet? Handelt es sich vielleicht doch um halbe Jungsozialisten? Sind sie sozialer als die Mutterpartei? Oder ist der Zeichner farbenblind?
…..ist der Stadtrat tatsächlich paranoid, wenn es um den Gemeinderat geht oder plant die Exekutive tatsächlich die langsame Entmachtung der Legislative? Tut der Gemeinderat nur so brav und seriös und in Wirklichkeit planen sie die Einführung der Monarchie? Man weiss es nicht...
….. über was reden Stadträte/Stadträtinnen, wenn sie gemeinsam auf die Toilette gehen?

Best of

„Altersheim oder Alterszentrum, das ist für mich eigentlich Haarspalterei.“ Sagt Patrick Freudiger (SVP), der als Jurist sonst eine ausgesprochene Liebe fürs Detail beweist.

„Es ist frostiger geworden. Carole (Howald) und Janosch (Fankhauser) haben schon einmal die Jacken angezogen.“ Pascal Dietrich, zu Beginn der Debatte über die Mehrwertsteuerabgabe, mit seiner ganz eigenen Version von „Winter is coming.“

„Der Stadtrat wird in Geiselhaft genommen und kann zwischen Pest und Cholera entscheiden.“ Daniel Steiner – Brütsch (EVP) zeigt Sinn für Dramatik und rutscht rhetorisch mal kurz ins Mittelalter.

„Ich möchte euch danken und das meine ich ehrlich.“ Die Dankbarkeit der SP/GL Fraktion über den neuen Antrag, den Diego Clavadetscher daraufhin flugs formuliert, hält sich allerdings spürbar in Grenzen.

„Könnte ein Vorschlag der Kapitalisten sein.“ Wieder Diego Clavadetscher, der sich offenbar mit linker Rhetorik hervorragend auskennt.

„Lehnt alle Anträge ab, aber danke für die Debatte.“ Der sonst sehr gesprächige Reto Müller macht es kurz.

„Wir vertrauen dem bürgerlichen Gemeinderat – und langsam tut es echt weh, das zu sagen.“
„Der Sprecher des bürgerlichen Gemeinderates schliesst sich dem Sprecher der Linkspartei an.“

Leichte Frustration bei Gerhard Käser (parteilos, SP/GL- Fraktion) und Reto Müller.

„Die Sportbahn ist 32, also ein Jahr jünger als ich. Der Unterschied: Sie muss man für Millionen sanieren, mich nicht.“ Bernhard Marti ist zuversichtlich, dass eine teure Sanierung bei ihm nie nötig sein wird.

„Ich bitte euch, es kurz zu halten, so wie es auch im Reglement steht.“
„Es kommt immer darauf an, wie man kurz interpretiert.“
„Das waren acht Minuten bei dir!“

Urs Zurlinden und Pascal Dietrich diskutieren über das richtige Zeitmanagement.

„Kurz heisst offenbar acht Minuten. Wir sind fünf Unterzeichnende, also rechnet mit 40 Minuten.“ Bernhard Marti kennt kein Erbarmen mit seinen Stadtratskollegen.

Ach ja: Ich hatte auch noch meinen obligatorischen ups, wie peinlich Moment. Ich bin nämlich versehentlich in die Männertoilette reingelatscht und habe dort jemanden am Pissoir überrascht. Wer auch immer das war: Ich hab nichts gesehen, ich schwör’s!