Freiheit ist für mich das
höchste Gut und das grösste Geschenk. Wenn ich an irgendetwas wirklich glaube,
dann daran, dass jeder Mensch das Recht auf sein eigenes Stück Freiheit haben
soll. Ich glaube, ein Mensch gehört keinem Land, keinem Staat, keiner Partei,
keiner Idee. Er gehört in erster Linie sich selbst. Doch zugleich bin ich der
Auffassung, dass auch Freiheit ihre Grenzen hat.
Ein Widerspruch? Nein. Ich
erklär es mal so: Wenn ich spontan entscheide eine Ballettvorführung in der
Marktgasse in Langenthal zu geben, ist das für mich ein Akt der Freiheit. Es
tut niemanden weh (ausser mir selbst, weil ich mir wahrscheinlich dabei die
Beine brechen würde), es ist ein persönlicher Ausdruck meiner Gefühlslage und
ich nutze dafür Boden, der mir zusteht (denn die Erde gehört uns ja allen).
Wenn ich aber ebenso spontan entscheide, einen Baseballschläger zu nehmen und
die Schaufenster in der Marktgasse zu zertrümmern, habe ich meine Freiheit
überschritten. Denn ich zerstöre das Eigentum von anderen Menschen, tue ihnen
sogar weh und beschränke damit deren Freiheit.
Am Wochenende ist es wieder
einmal zu Krawallen in Bern gekommen. Angefangen hat es mit einem Fest auf dem
Gelände der ehemaligen Kehrichtverwertungsanlage. Eine illegale Party. Hier
kann man sich natürlich zurecht streiten, ob es so etwas wie eine illegale
Party überhaupt gibt. Wenn Menschen feiern wollen, sollen sie es tun. Solange
es im friedlichen Rahmen geschieht.
Nur war das einigermassen
harmonische Fest definitiv zu Ende, als die Partyteilnehmer beschlossen, nach
Mitternacht in einem Demonstrationszug in die Innenstadt zu ziehen. Sie taten
das allerdings nicht Händchen haltend mit einem Lied auf dem Lippen. Sie
tanzten auch nicht. Sie warfen auch keine Blumen. Stattdessen marschierten in
einen Krieg, verschmierten Gebäude, zerschlugen Scheiben, zündeten Feuerwerke,
warfen mit Steinen auf die Feuerwehr. Die Polizei stoppte den Umzug
schliesslich, bevor die Krawallmacher die Innenstadt erreichte.
Die Anwohner und
Ladenbewohner der betroffenen Quartiere durften sich am nächsten Tag an die
Aufräumarbeiten machen. Der Schock und die Wut sitzen bei ihnen tief.
Verständlicherweise. Denn ihre Freiheit wurde auf brutalste Art und Weise
verletzt. Und wofür? Das scheint niemand mehr so genau zu wissen. Die Erlöse
der illegalen Party sollten der Flüchtlingshilfe auf Griechenland zu Gute
kommen, bei dem nachfolgenden Umzug dagegen sei es um mehr Freiräume gegangen.
Den Sprühereien nach zu schliessen, ging es wohl auch um den Kampf gegen den
Kapitalismus. So prangte auf dem Frauenspital der Schriftzug: „Gegen die 2 –
Klassen Medizin!“ Wissen tut man allerdings eines: Linksautonome sind für die
Ausschreitungen verantwortlich.
Für mich als Linke ist es
entsetzlich, diese Bilder anzusehen. Wie soll ich das jemanden erklären? Wie
soll ich diese Zerstörung rechtfertigen, die von Videos, Bildern und
Augenzeugenberichten so klar bewiesen wird? Was soll ich antworten auf die Frage:
„Warum?“ Es gibt keine Rechtfertigung für das, keine Entschuldigung. Niemand,
absolut niemand hat das Recht, solche Verwüstungen anzurichten. Wie kann man
für Freiraum kämpfen, indem man dem schönen, friedlichen Bern so etwas antut?
Wie kann man sich einbilden, man tue etwas gegen den Kapitalismus, wenn man
Krankenhäuser verschmiert? Wie kommt man auf die irre Idee, den Flüchtlingen
sei geholfen, indem man Steine auf ein Feuerwehrauto wirft? Wie kann man sich
das Recht herausnehmen, wichtige politische Anliegen als Deckmantel zu
benutzen, um ungestört in der Stadt wüten zu können?
Schon werden Stimmen laut,
in Wirklichkeit sei es die Polizei gewesen, welche die Situation eskalieren
liess; sowohl Party als auch Umzug seien friedlich gewesen, bis die Polizei
eingegriffen hätte. Ich höre mir das immer und immer wieder an, nicke und
denke: Naja, vielleicht haben sie ja Recht, ich war schliesslich nicht dabei,
kann mir also kein Urteil anmassen. Doch jetzt erlaube ich mir ein Urteil und
sage: „Das glaube ich nicht.“ Wenn das alles als total friedliche Veranstaltung
geplant gewesen war, wo kamen dann die Spraydosen, die Rauchbomben, die
Feuerwerkskörper her? Ich nehme das normalerweise nicht mit, wenn ich an eine
Party gehe.
Nein, es war nicht die
Schuld der Polizei, es ist die Schuld jener, die glauben, für die Durchsetzung
ihrer Interessen sei jedes Mittel Recht. Es ist die Schuld jener, die sich Mut
antrinken und sich hinterher mit der Polizei anlegen. Es ist die Schuld jener,
die ihre Freiheit über die der anderen stellen. Es ist die Schuld jener, die in
ihrer Verblendung glauben, sie seien besser als andere und deshalb hätten sie
das Recht, diese anderen zu schikanieren.
Und auch ich fühle mich ebenfalls zutiefst
betroffen und angegriffen, obwohl ich nicht in Bern wohne. Denn ich arbeite
schliesslich in einer Buchhandlung in Bern, auch ich bin Teil dieses
Kapitalismus und verdiene damit mein Geld. Bin ich deshalb schlechter? Bin ich
deshalb Freiwild? Wäre ich in jener Nacht in diesen Strassen gewesen, hätte man
mich dann auch mit Steinen beworfen? Die
WKS Bern wurden ebenfalls schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ich bin dort in
die Berufsschule gegangen; ich habe dort eine sehr glückliche Zeit verbracht,
bin dort erwachsen geworden, habe hier endgültig meine politische Meinung gebildet; und es verletzt und verstört mich, dass eben jene
Schule, beschmiert und mit Rauchbomben beworfen wurde.
Ich kann und will Gewalt
nicht tolerieren, egal von welcher Seite sie kommt. Wenn ich im Namen des
Kommunismus jemanden wehtue, ist das genauso schlimm, wie wenn ich es im Namen
des Nationalismus tue.
Persönlich bin ich auch sehr
enttäuscht von meiner Partei. Die JUSO Bern handelt in dieser Sache äusserst
ungeschickt. Statt sich von diesen Vorfällen laut und deutlich zu distanzieren,
beklagt sie sich über Reto Nause, der als Folge der Ausschreitungen mehr
Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei fordert. Das sei der Weg in die
totale Überwachung, lamentieren sie. Stimmt. Und wir schaufeln ihm fröhlich den
Weg frei, wenn wir uns weiterhin schützend vor die Krawallmacher stellen und
was von „Freiheit“ und „Polizeigewalt“ faseln.
Ich kann die immer gleiche
Argumentation „Sie haben angefangen, da haben wir uns halt gewehrt“ nicht mehr
hören. Wir sind doch nicht im Kindergarten, verdammt noch mal! Wir sind eine
politische Partei, wir wollen ernstgenommen werden, wir haben wichtige und gute
Anliegen. Die wir allerdings in den Papierkorb stopfen können, wenn wir uns
nicht endlich von diesen Chaoten distanzieren. Und zwar nicht mit einem
Nebensatz: „Ja, Vandalismus ist nicht okay, aber….“ sondern mit einem klaren
Statement gegen linke Gewalt! Wir wollen die Schwachen beschützen, wir wollen
die Welt verbessern, wir wollen, dass jeder Mensch frei sein kann.
Doch statt die Schwachen zu
beschützen, jagen wir ihnen mit solch hirnlosen Demos Angst ein, statt die Welt
zu verbessern, machen wir sie noch ein bisschen schlechter, statt die Freiheit
zu verteidigen, zerstören wir sie. Wir entziehen uns der Verantwortung, indem
wir uns einreden: „Das war doch gar nicht so, die Medien übertreiben, das war
alles ganz anders.“ Genau wie sich die Rechten einreden, es gebe gar keine
echten Flüchtlinge, reden wir uns ein, wir hätten kein internes Problem mit
linker Gewalt. Natürlich haben wir das und es kostet uns viel. Wählerstimmen,
Glaubwürdigkeit, Mitglieder.
Unsere Freiheit stirbt durch
eure Sicherheit, steht auf dem Dach der Reitschule. Nein. Unsere Freiheit
stirbt im Feuer des Hasses, im Feuer der Gewalt, im Feuer der Intoleranz. Und
wenn wir nicht irgendeinmal in Ketten durch ihre Asche waten wollen, dann
müssen wir uns besinnen, dass man für die wahre Freiheit nur friedlich kämpfen
darf. Denn sonst verraten und verderben wir sie.
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