Wenn mich Leute fragen,
warum ich mich für einen Verkaufsberuf und nicht für einen Büroberuf
entschieden habe, gebe ich meistens dieselbe Antwort: Weil ich gerne Kontakt
mit verschiedenen Menschen habe. Ich interessiere mich für Menschen. Ich
überlege mir welche Motive hinter ihrem Handeln stehen, wo sie hingehen und
woher sie kommen. Meine Menschenliebe wird jedoch jedes Mal, wenn ich in einen
Zug steige, auf eine harte Probe gestellt. So auch heute.
Natürlich setzte sich in
meinen Waggon eine junge Mutter mit ihrem kleinen Kind. Nun soll es ja durchaus
Kinder geben, die ganz still und brav sind. Allerdings habe ich bis jetzt
höchst selten das Glück gehabt mit so einem Zug zu fahren. Mein Verdacht
bestätigte sich, kaum war der Zug
angefahren, begann das Kind schon jammernde, fiepende Töne von sich zu geben.
Ich drehte die Lautstärke meines MP3 – Players rauf.
Aber die zarten Klänge von
Silbermond wurden zugleich durchbrochen, von der älteren Dame, die sich im
Abteil neben mir niedergelassen hatte. Besagte Dame sah so aus, als könnte sie
ohne grosses Federlesen einem ausgewachsenen Wildschwein den Hals umdrehen. Und
sie sprach auch so laut, als müsse sie sich quer durch einen ganzen Wald
unterhalten.
„Ja, du bist ja ein kleiner
Lausbube“, quäkte sie durch den Zug und wäre ich Kind gewesen, hätte ich mich
gleich unter den Sitzen versteckt. Der Bub jedoch schien sich über das
Interesse der Oma zu freuen, denn er strahlte sie an, was sie dazu bewog, jede
einzelner seiner Handlungen dem Rest des Zuges zu beschreiben: „Oh klaust du
der Mutter das Taschentuch…Ja, du bist ja ein Schlingel!“
Ich drehte den MP3 – Player
noch mehr auf, denn erfahrungsgemäss wird die alte Dame gleich ein Gespräch mit
der Mutter anfangen und sich mit ihr über Freud und Leid der Kindererziehung zu
unterhalten. Solche Gespräche töten selbst den letzten, mickrigen Rest aller
Kinderwünsche in mir, da sie meist sehr ins Detail gehen und auch unschöne
Themen wie Schwangerschaftsnarben, Windelinhalte und nächtelange Schreikrämpfe
des Kindes nicht ausser Acht lassen.
Das Gespräch blieb aus,
stattdessen begann das Kind wacklige Schritte im Gang zu machen. Das ärgert
mich am meisten. Ich finde, ein fahrender Zug ist nicht unbedingt der passende
Ort für erste Gehversuche, nur dummerweise scheinen Mütter da anderer Meinung
zu sein. Aber ich meine, hey, angenommen der Zug macht eine Vollbremsung, dann
fliegt das Kind unter Umständen durch den ganzen Zug und bleibt dann kopfüber
in einer Scheibe stecken. Wobei es nicht mal so dramatisch sein muss.
Vielleicht stürzt es auch einfach nur, schlägt sich das Gesicht auf und muss
bereits in diesem zarten Alter den Dienst eines Schönheitschirurgen in Anspruch
nehmen. Man stelle sich diese Blickschlagzeile zu: „Modelkarriere des kleinen
Amadeus wegen Vollbremsung zerstört!“
Mal abgesehen davon, dass es
gefährlich ist, haben Kinder auch noch die unschöne Angewohnheit zu mir zu
tapsen. Es ist wie bei Tieren: Sie spüren instinktiv, wenn jemand sie nicht mag
und wollen diesen Jemand um den Finger wickeln. Mein Vater zum Beispiel mag
keine Hunde. Sobald ein Hund ihn sieht, stürzt er auf ihn zu und verlangt
schwanzwedelnd Streicheleinheiten. Leider steigert dies die Hundeliebe meines
Vaters nicht, nein, im Gegenteil. Er hasst die Hunde nur umso mehr. Ähnlich
verhält es sich bei mir und Kindern. Natürlich macht sich dieses Kind auch auf
den Weg zu mir. Ich starre angestrengt aus dem Fenster. Oft verschwinden sie
wieder, wenn man Blickkontakt hat.
Doch noch Glück gehabt. Das
Kind verzieht sich wieder zu seiner Mutter, wo es mit zunehmender Lautstärke
kundtut, dass es Hunger hat. Parallel dazu beginnt die Oma sich mit einer Frau
im schräg gegenüberliegenden Abteil zu unterhalten, so laut, dass man es nicht
mehr ignorieren kann. Schon bin ich erleichtert, als sich die Oma schliesslich
zu der anderen Frau setzt, aber leider schreit sie immer noch so, als würde sie
sich vom einen Ende der chinesischen Mauern zum anderen Ende unterhalten. Als
der Zug hält, verlasse ich ihn geradezu fluchtartig.
Bei der Rückfahrt kam ich
dann zum zweifelhaften Vergnügen mit zwei Teenagermädchen zu fahren. Sie mögen
sechzehn sein, benehmen sich aber, als seien sie schon fünfundzwanzig. Schon
jetzt sind stilsicherer angezogen, als ich es je sein werde. Schon deswegen
finde ich sie unsympathisch. Noch schlimmer ist aber, dass ihren grell
geschminkten Lippen immer wieder ein lautes Kichern entfährt. Lachen finde ich
immer schön zum Hören, aber Kichern finde ich hat etwas Aggressives. Sie
kichern ununterbrochen, die ganze Fahrt entlang und das in einer Lautstärke als
seien sie ganz allein.
Allein sein hat manchmal
auch etwas für sich. Denke ich immer nach solchen Zugfahrten. Aber eigentlich
wäre es auch schade, denn wie viel ärmer wäre
unsere Alltagswelt, wenn wir uns nicht über unsere Mitreisenden ärgern
könnten.
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